Blog

Abbildung aus "Cassandra Darke", © Posy Simmonds
19.01.2020

Fein gestrichelte Entlarvungen

Posy Simmonds‘ neuer Comic Cassandra Darke ist ein anderes Kaliber als die beiden Vorgänger, schon, was die Titelheldin angeht: Ähnelten sich Tamara Drewe und Gemma Bovery in ihrer anmutigen Attraktivität, wuchtet sich jene in die Jahre gekommene, übergewichtige Misanthropin in einen unförmigen Mantel gehüllt über die Seiten, grimmig unter einer Trappermütze hervorstarrend.

Doch der collagenartige Stil rahmenloser oder auch seitenfüllender Bilder mit darunter, daneben oder mittenhinein gesetzten Textblöcken ist ganz Posy Simmonds. Die Zeichnungen sind so fein und exakt wie gewohnt, der Strich aber kräftiger - und vor allem die Farben ausdrucksvoller und kontrastieren wirkungsvoll mit grauschwarzen Straßenszenen in Winternächten.

Posy Simmonds macht diesmal nicht die literarische, sondern die Kunstwelt zum Ziel ihrer fein gestrichelten Entlarvungen. Cassandra Darke ist Kunsthändlerin, Anfang 70, betreibt erfolgreich eine Galerie im poshen Londoner Westend. Doch sie betrügt bei Kunstverkäufen, fliegt auf und landet vor Gericht - und ist ihren Ruf wie ihr Vermögen los. Dann findet Cassandra eine Pistole in der Einliegerwohnung im Souterrain ihres Hauses, wo sie ihre Nichte Nicki eine Weile hat wohnen lassen. Eine riskante Spurensuche beginnt, mit überraschendem Ausgang.

Cassandra Darke ist ein wenig Krimi und viel Sozialstudie. Die Erzählung in Zeitsprüngen ist kurzweilig. Gegen Ende überschlagen sich die Ereignisse - das wirkt ein wenig konstruiert, gibt aber Gelegenheit für eindrucksvolle Effekte, wenn in den graphitgrau gestrichelten Szenen der Ruf "Hilfe!" in gelben Lettern leuchtet, ebenso wie Cassandras Handschuhe, die die Pistole umklammern.

Dieser dramatische Höhepunkt löst eine Wandlung in Cassandra aus, die nicht ganz nachvollziehbar scheint; aber schließlich heißt es, sie sei ein Pendant des kaltherzigen Geizhalses Ebenezer Scrooge aus Charles Dickens‘ Erzählung Eine Weihnachtsgeschichte. Und kurz bevor am Ende der Kitschalarm losgehen will, hat Posy Simmonds noch eine Überraschung parat.

Posy Simmonds: Cassandra Darke, ÜS: Sven Scheer, Reprodukt, 96 S., 20 EUR

Abbildungen aus "Cassandra Darke", © Posy Simmonds

Dieser Text ist erschienen im Bonner Stadtmagazin Schnüss, Ausgabe 01/2020